Diabetisches Fußsyndrom (inkl. Charcot-Fuß)

Studienergebnisse und Diskussion

Alle von 01.09.2006 bis 31.08.2009 behandelten Patienten über 18 Jahre mit Diabetes mellitus, einseitigem Fußulkus und Deformität von oberem Sprunggelenk (OSG) und/oder Fuß wurden in unsere erste Studie eingeschlossen. Das Entscheidung über das Vorliegen einer Deformität und die Klassifikation derselben erfolgte vom Leiter der Fußsprechstunde und korrespondierende Autor subjektiv nach Kenntnis des klinischen Befunds, der Röntgenaufnahmen und des Pedographiebefundes.

257 Patienten begannen mit Phase 1 (Alter 62 (28-83) Jahre, 69% weiblich). 240 (93%) waren gehfähig (178 (69%) ohne Gehstützen; 45 (18%) mit einer Gehstütze; 17 (7%) mit zwei Gehstützen). 17 (7%) waren im Rollstuhl mobilisiert. Eine spezielle Schuhversorgung bestand in 118 (46%) Fällen ("Diabetikerschuhe", n=78 (30%); orthopädische Schuhe, n=40 (16%)); Einlagenversorgung, n=143 (56%)).

Die Deformitäten wurden wie folgt klassifiziert:
Vorfuß/isolierter Hallux valgus, n=56 (22%); Vorfuß Hallux valgus & Krallenzehen, n=67 (26%); Vorfuß andere, n=12 (5%); Plattfuß, n=45 (18%); Hohlfuß, n=21 (8%); Mittelfuß andere, n=12 (5%); Rückfußvarus, n=18 (7%); Rückfußvalgus, n=36 (14%); Equinus, n=12 (5%); Rückfuß andere n=56 (22%). 130 Fälle (30%) wurden in mehr als eine Gruppe eingeteilt.

Phase 1: In 153 Fällen (59%) war der postoperative Abstrich nach einem Debridement steril, in 43 (17%) nach zwei, in 23 (9%) nach drei, in 19 (7%) nach vier, in 13 (5%) nach fünf. In 6 (2%) Fällen lag nach fünf Debridements keine postoperative Sterilität vor und als 6. Eingriff erfolgte eine Amputation mit sofortigem Verschluss (Level s.u.).

Phase 2: Alle 251 Fällen (98%) ohne Amputation begannen mit Phase 2. In 168 Fällen (65%) erfolgte eine Sekundärnaht, in 67 (26%) ein lokaler Verschiebelappen, in 16 (6%) eine Amputation (Level s.u.).

Phase 3: 234 (91%) beendeten Phase 3, 10 (4%) mit Ulkusrezidiv. 7 (3%) beendeten Phase 3 nicht, d.h. die Patienten erschienen nicht mehr zum vereinbarten Termin.

Phase 4: In 139 Fällen (54%) wurde erfolgreich korrigiert (Arthodesen an OSG, n=21 (8%); subtalar n=25 (10%); Mittelfuß/Tarsometatarsal (TMT), n=74 (n=29); andere, n=19 (7%)). 84 (33%) wurden nur mit Einlagen behandelt und nicht mit operativer Korrektur behandelt und in 11 (4%) erfolgte eine Amputation (Level s.u.).

235 (91%) beendeten die Nachuntersuchung nach 24 (12 – 38) Monaten. In 42 (16%) bestand ein Ulkusrezidiv. Die Amputationsrate betrug insgesamt 13% (n=33) (Level: Unterschenkel, n=3 (1%); Lisfranc, n=8 (3%); transmetatarsal, n=4 (2%); Zehen, n=18 (7%)). 230 (98%) waren gehfähig (201 (86%) ohne Gehstützen; 24 (10%) mit einer Gehstütze; 5 (2%) mit zwei Gehstützen). 5 (2%) waren im Rollstuhl mobilisiert. Eine spezielle Schuhversorgung bestand in 230 (98%) Fällen ("Diabetikerschuhe", n=198 (84%); orthopädische Schuhe n=32 (14%); Einlagenversorgung, n=230 (98%)). Eine Unterschenkelprothese war in 3 (1%) Fällen angepasst.

Die tragenden Säulen der Therapie des diabetischen Fußsyndroms sind optimale Einstellung der Stoffwechsellage, Infektionsbeherrschung, Revaskularisation, Korrekturoperationen und optimale Schuhversorgung. Es wird davon ausgegangen, dass durch diese optimierte Versorgung der Risikogruppen die Zahl der Amputationen auf unter 10.000 gesenkt werden könnte. In vielen Fällen sind Fußdeformitäten vorhanden, die eine Mitursache von Ulzera sind. Genauso wie beim Nicht-Diabetiker sind Fußdeformitäten grundsätzlich nur operativ korrigierbar und niemals durch Quengelschienen oder ähnliches. Wichtig erscheint uns in Anlehnung an die Literatur eine umfassende Diagnostik mit Pedogaphie inkl. Ganganalyse, Photodokumentation und neurologische Evaluation.

Warum 4 Phasen?

Der 4-Phasen-Algorithmus ist zweifellos ein sehr aufwändiges Behandlungsregimes. Dieses Vorgehen wurde aufgrund der bekannten und publizierten Rezidivrate bei „einfacherem“ Vorgehen und ähnlicher eigener früherer Erfahrung entwickelt. Kurz zusammengefasst konnten wir mit dem vorgesellten Algorithmus eine geringere Rate an Majoramputationen (1,3%) und Ulkusrezidiven (16%) bei einem suffizienten Beobachtungszeitraum von durchschnittlich 2 Jahren im Vergleich zu anderen Publikationen realisieren. Bezüglich der Kostensituation ist klar hervorzuheben, dass vor allem eine geringe Rate an Majoramputationen entscheidend ist, da diese im gesamten Krankheitsverlauf übereinstimmen mit den mit Abstand höchsten Kosten verbunden ist.

Phase 1 (Debridement)

Die vakuumassistierter Wundkonditionierung hat das Wundmanagement deutlich vereinfacht und verbessert. Dabei ist jedoch wichtig zu betonen, dass nicht die Verbandstechnik allein angewendet wird, sondern das Debridement im Vordergrund steht. Deshalb sind auch Tendenzen das Wundmanagement an allein nichtoperativ tätiges Personal (sog. Wundmanger, die einfach nur die vakuumassistierter Wundkonditionierung durch Verbandswechsel ohne eigentliches Debridement durchzuführen) zu delegieren, nicht sinnvoll. Entscheidend ist eindeutig das Debridement und nicht die eine oder andere Verbandstechnik weshalb das Wundmanagement eindeutig in chirurgische Hände gehört.

Phase 2 (Verschluss)

Hier kamen bevorzugt lokale Maßnahmen mit Sekundärnaht und lokale Versschiebelappen. Freie vaskularisierte Transplantate wurde aufgrund des Risikoprofils nicht angewendet. Spalthauttansplantationen wurden aufgrund der höheren Vulnerabilität mit geringer Priorität eingesetzt.

Phase 3 (Entlastung)

Warum wurde die Korrektur nicht direkt in Phase 2 inkludiert sondern eine relative lange Zeit dazwischen mit völliger Entlastung durchgeführt? Der Grund für Phase 3 was die vermeintlich höhere Sicherheit insbesondere bzgl. Keimfreiheit vor der Korrektur. Problematisch ist allerdings der lange Zeitraum von 6 Wochen bei eingeschränkter Compliance, da doch einige Patienten bei abgeheiltem Ulkus die Notwendigkeit der weiteren Versorgung mit Einlagen oder sogar Korrekturoperation nicht wahrnehmen. Diese Rate war in unserem Kollektiv mit 3% erfreulicherweise gering. Allerdings wurden die Patienten auch von Beginn and, d.h. vor Phase 1 auf die Wichtigkeit der langen Entlastungsphase hingewiesen. Ein weiteres potentielles Problem der Entlastungsphase ist natürlich die fraglich Einhaltung der Entlastung. In unserem Kollektiv trat in 4% während der Enlastungsphase ein Ulkusrezidiv auf, was wir als sicheren Hinweis darauf werten, dass nicht konsequent entlastet wurde. Auch hier spielt die Compliance und eine enge und aufwändige Patientenführung eine große Rolle. Diese Patienten begannen wieder mit Phase 1 was natürlich einen erneuten erheblichen Aufwand bedeutet. Allerding erscheint dies trotzdem noch wesentlich günstiger als eine Korrekturoperation in dieser Phase, die dann vermutlich auch wegen einer nicht eingehaltenen postoperativen Entlastung fehlgeschlagen sein dürfte.

Phase 4 (Korrektur)

Falls eine Deformität vorliegt, die das Wiederauftreten eines Ulkus begünstig erfolgte eine Korrektur der Deformität. Für Korrekturen kamen standardmäßig Verfahren wie Computernavigation, intraoperative Computertomographie und intraoperative Pedographie zum Einsatz. Dabei war ein plantigrader belastbarer Fußes mit gleichmäßiger Kraftverteilung und mit voller Belastbarkeit das wesentliche Ziel. Dadurch sollte einerseits eine auch für die Stoffwechsellage wichtige Mobilisation erreicht und andererseits das Wiederauftreten eines Ulcus am ehesten verhindert werden. Inzwischen hat sich die Korrektur von Deformitäten nach auswärtiger Amputation leider zu einem unserer Spezialgebiete entwickelt. Die zeigt auch, dass eine alleinige Amputation ohne Berücksichtigung der späteren Funktion nicht erfolgversprechend ist. In Fällen mit notwendigen Amputationen erfolgt bei uns nicht mehr die inzwischen obsolete sog. Grenzzonenamputation sondern eine unter funktionalen Gesichtspunkten angepasste Amputation. Das bedeutet, dass üblicherweise auch gesundes Gewebe entfernt wird um einen optimale Funktion zu erreichen (sog. funktionale Amputation) und nicht wie früher so wenig Gewebe wie möglich (Grenzzonenamputation). Dabei ist regelhaft bei der Amputation von mehr Gewebe eine bessere Funktion zu erreichen. Trotz Amputation sind häufig Korrekturen von Deformität im verbleibenden Fuß- oder Sprunggelenksteil nötig, um eine adäquate Funktion zu ermöglichen.

Zusammenfassend wurden mehr als 250 Fälle nach dem vorgestellten 4-Phasen-Algorithmus behandelt. Dabei erfolgten fast 150 Korrekturoperationen (Phase 4). Die Rate sog. Majoramputation (Unterschenkelniveau) war mit 1,3% sehr gering, ebenso wie die Rate der Ulkusrezidive mit 16%. Die Rate der Gehfähigkeit wurde von 93% auf 98% verbessert. Welchen Stellenwert für uns die Schuhversorgung hatte zeigt die von 46% auf 98% gestiegene Rate der speziellen Schuhversorgung.

Das Wundmanagement gehört unserer Ansicht nach aufgrund der Notwendigkeit des operativen Wunddebridements in chirurgische Hände. Es ist uns ein großes Anliegen zu vermitteln, dass Deformitäten nur operativ korrigiert werden können und sollten und dass Amputationen unter Berücksichtigung der späteren Funktion individuell angepasst durchgeführt werden sollten. Eine Kombination von Korrektur und Amputation ist daher nicht selten das optimale Vorgehen.